Interview – Isabel
Seit wann hast du Alopecia? Welche Form hast du?
Ich habe Alopecia Areata seit Sommer 2011. Wir waren in Schweden in einem sehr abgelegenen Park, als mir meine Schwester die Haare flechten wollte und einen Fleck entdeckte.
Beim Duschen fiel es dann auch mir auf – und einen Monat später waren alle Haare weg, außer den Augenbrauen.
Was war dein bisher negativstes Erlebnis mit deiner Alopecia?
Vor einem halben Jahr lief ich nach Hause als mir drei 14-jährige Mädchen über den Weg liefen. Ich begrüßte sie und beim Weglaufen hörte ich wie sie sagten: «Oh Gott, ich dachte, das war ein Mann.»
Was war dein bisher positivstes Ereignis mit deiner Alopecia?
Ich kenne in Deutschland eine Familie, die ich oft besuche. Sie haben ein Mädchen, das 7 Jahre jünger ist und auch Alopecia hat. Eines Tages sagte sie einfach aus dem Nichts: «Isabel ich finde dich so schön». Das war wirklich ein sehr schöner Moment. Auch erinnere ich mich an ein 3 Jahre altes Mädchen in der Krippe, die mich fragte, warum ich immer Kappen an hätte. Da erklärte ich ihr, dass meine Haare ausgefallen seinen. Mit großen Augen schaute sie mich an und mit einer vogelfliegenden Handbewegung fragte sie nochmals nach: «Einfach weggeflogen?» Ich musste schmunzeln und sie war mit dieser Antwort zufrieden und widmete sich wieder ihrem Spiel.
Glaubst du, dass deine Alopecia eines Tages nicht mehr da sein wird?
Man hört ja immer wieder von Leuten, die etwas Postives erlebt haben. Ich glaube einfach an eine individuelle Heilung.
Wenn deine Alopecia eine Person wäre, was würdest du ihr sagen?
Ich würde ihr sagen: «Danke für all die Erfahrungen und die Menschen, die ich kennenlernen durfte, aber jetzt darfst du wieder gehen.»
Isabels Geschichte
Es war ein strahlend blauer Tag als ich bei Isabels Familie an einem Sonntagmorgen zu Gipfeli und Tee eintraf. Wir setzten uns an den großen Küchentisch und ihre ganze Familie ging ihrem Sonntagsmorgenritual nach. Die Schwestern gingen zur Küche ein und aus und ihre Eltern lasen Nachrichten. Sie alle saßen zwar nicht gemeinsam am Küchentisch, aber sie waren für Isabel da – so wie all die letzten Jahre seit sie Alopecia hat.
Isabel erzählte wie es nach jenen Sommerferien in Schweden weiterging. Nachdem sie anschließend noch eine Woche in Holland waren, gingen sie zum Hautarzt. Ihre Mutter Petra, recherchierte viel, aber Isabel wollte von all dem nichts wissen. Sie sagte: «Ich lebe einfach weiter.» Als Sie schließlich alle Haare verloren hatte, entschied sie sich eine Perücke zu tragen.
Überhaupt veränderte sich gerade viel, weil Isabel in die Oberstufe kam – eine neue Klasse und neue Lehrer. Alle sind sehr gut damit umgegangen und haben Sie unterstützt. Von Auslachen und Hänseln nicht die Spur. Ich war sehr froh dies zu hören. Ein Mädchen in diesem Alter hat mit sich selbst genug zu tun. Dann muss es sich nicht auch noch mit unreifen oder verletzenden Kommentaren herumschlagen…
Eine größere Veränderung gab es für Isabel, als Sie das erste Mal im Jahre 2013 zum AA-Treffen nach Deutschland ging. Ohne es zu merken, ging sie ab diesem Treffen viel offener mit ihrer Alopecia um. Dies wurde ihr im Nachhinein klar. Zu diesen Treffen ging sie immer mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester. Manchmal, wenn es zeitlich ging, kam auch ihr Vater mit. Sie mag die «Familientreffen» noch einen Tick lieber als die «Come Together» Treffen. Bei dem «Familientreffen» scheint es, als wären sie dort eine riesige Familie, die zwei Mal im Jahr zusammen kommen und etwas Schönes unternehmen. Bei diesen Treffen lernte Isabel auch eine Familie kennen. Die Familie hat zwei Mädchen und die jüngere ist 7 Jahre jünger als Sie und auch mit der 15-jährigen Schwester verbindet Isabel eine tiefe Freundschaft. Oft fährt sie die Familie besuchen und sie genießt diese Besuche sehr. Bei ihnen zu Hause läuft Isabel auch ohne Kappe herum. Sie fühlt sich in diesem Rahmen sicher.
Nach der Oberstufe machte Isabel ein Zwischenjahr. Und in diesem Jahr entschied sie sich auch die Perücke abzulegen. Sie gefiehl ihr einfach nicht mehr. Und Isabel fand sich selber besser mit Kappe. Sie machte ihr Praktikum in einer Familie, wo wiederum alle sehr offen auf Isabel zu gingen und sie mit der Alopecia nicht anders behandelten. Später erzählte ihr die Mutter der Kinder, dass die Kinder im Sommer oft nach draußen gingen, eine Kappe angezogen hätten und «Isabel» gespielt hätten. Das hat Isabel sehr gerührt.
Isabel machte nach dem Zwischenjahr ein Praktikum in einer KiTa, wo sie auch nun die Lehrstelle hat. Auch hier erklärte Sie an der neuen Schule im 1. Lehrjahr bei der Vorstellungsrunde ihre Alopecia und bot den Mitschülern an, dass wenn sie Fragen hätten, sie jederzeit zu Isabel kommen dürfen und sie ihr stellen könnten. Ich war sehr von dieser Transparenz und der Bereitschaft von Isabel offen über ihre Alopecia zu sprechen angetan .
Isabel teilte mir eine Erinnerung in der KiTa mit. Es war gerade Mittagsruhe und die ganz kleinen Kinder gingen schlafen und die Größeren machten ebenfalls eine Pause. Isabel kam von ihrer Mittagspause zurück und spielte mit Zwillingsmädchen. Während sie bei einem Mädchen auf dem Boden saß, sprach sie mit dem anderen Zwilling. Das Mädchen, das bei Isabel stand, wollte etwas um ihren Kopf binden und da war die Mütze im Weg. Also schob das Mädchen die Mütze weg und ließ alles fallen. Die Zwillingsschwester hatte dies beobachtet und rief fröhlich und ein bisschen erschrocken: «Sie hat ja wirklich keine Haare!» Die Ausbilderin sagte: «Natürlich stimmt das!» Daraufhin setzte Isabel ihre Kappe auf, sagte das sei ok gewesen, aber sie solle dies in Zukunft bitte nicht mehr machen. Es ist manchmal sehr spannend zu sehen, wie andere Leute, insbesondere Kinder auf Isabels Situation reagierten. Auch habe ich das Gefühl, dass so Isabel noch stärker weiß, wie sie wahrgenommen werden will und wie sie ihre Alopecia kommuniziert.
Als wir uns über all die Therapien austauschten, war ich erstaunt, wie klar Isabel immer für sich sagen konnte, was für sie stimmt und was für sie nicht stimmig war. Ich für meinen Teil habe das erst kürzlich für mich erkannt und sie mit ihren jungen Jahren konnte ganz klar sagen, was sie versuchte und was sie von Anfang an als abstoßend empfand. Beispielsweise bekam auch sie einmal Kortison gespritzt. Sie hatte die Tage darauf solche Kopfschmerzen, dass sie nicht zur Schule ging. Jede Woche – so wie die Spritzen verordnet wurden – wollte sie das nicht durchstehen. Sie probierte auch eine Ylasai Naturcrème und einen Spray für die Aktivierung. Und zwar morgens, mittags und abends. Auch probierte sie eine Paste aus einem Pulver, Ei und Joghurt auf den Kopf und einmal im Monat für den ganzen Körper. Die Haare kamen zurück und wurden sogar 5cm lang nach einer Woche war aber alles wieder weg.
Da begriff Isabel: «Es kommt so, wie es kommen muss.» Sie sah auch bei den Treffen, dass es nichts gibt, das hilft. Auch ohne Treffen hätte sie keine Sachen mehr ausprobieren wollen. Ich fragte sie, was für Auswirkungen die Alopecia auf ihr soziales Leben hätte. «Ich gehe tatsächlich eher weniger weg. Vielleicht hat das auch mit meinem Charakter zu tun, aber der Haarausfall trägt einen wesentlichen Teil dazu bei, dass ich nicht in die Disco gehe.» Auf die Frage hin, ob sie dies bereue, antwortete sie: «Wie bereits gesagt, ich glaube nicht, dass es ohne Haarausfall ein massiver Unterschied wäre, aber ein wenig mehr raus gehen würde ich schon gerne.» «Was brauchst du, dass sich dies denn ändern würde?», war meine Frage und sie erzählte mir, dass ihre größere Schwester ihr einmal ohne ihr Wissen Tickets für eine «Tschätteri» kaufte und das sei dann echt cool gewesen. Isabel sagte dann auch ihrer Schwester, dass sie öfters mitgezogen werden will, was sie sich dann auch zu Herzen nahm.
«Hat sich deine Definition von Schönheit durch deine Alopecia verändert?», war meine nächste Frage. Isabel überlegte und sagte dann: «Ja und nein. Ich hatte schon früher keine Vorurteile gegenüber Menschen, aber durch die AA habe ich sie noch weniger. Ich habe mehr über Akzeptanz gelernt und dass jeder seine eigene Persönlichkeit und so seine eigene Schönheit hat.»
Plötzlich kam Isabel noch etwas zum Thema Heilung in den Sinn. Sie erzählte, dass der Vater von der Familie aus Deutschland sie einst darauf ansprach, ob bei ihr das nicht vielleicht etwas bringen würde ohne Kappe herumzulaufen. Isabel hat nämlich an den Schläfen ganz feine Häarchen, die von der Kappe nicht abgedeckt werden – im Gegensatz zum Rest des Kopfes. In den Sommerferien in Belgien ist sie den ganzen Sommer ohne Mütze herumgelaufen. Nach den Ferien wuchsen bei Isabel an ein paar Stellen feine Haare. Aber sie wird in ihrem Alltag weiterhin ihre Mütze anhaben.
Die Kappe ist ein innerer Impuls von ihr. Mit der Kopfbedeckung fühle Sie sich wohler. Sie liefe zwar manchmal lieber ohne Mütze herum, aber Sie hat kein Bedürfnis außerhalb ihres Heims ohne herumzulaufen. Viele sagen nach der Perücke sei die Kappe der Übergang um irgendwann ohne herumzulaufen. So denkt Sie jedoch nicht. Es ist ein Prozess, aber sie hat für sich defniert, dass sie sich mit Kappe wohler fühlt. Es sei auch nicht ihr Ziel ohne Kopfbedeckung herumzulaufen. Nachdem wir uns schon über vieles ausgetauscht haben, gab ich ihr einen andern Bericht zu lesen, damit wir schauen konnten, ob wir nicht nicht etwas ausgelassen hätten.
Tatsächlich kamen Isabel noch zwei Begebenheiten in den Sinn, die sie in diesem Bericht teilen will:
Als sie einmal nach ihren Ferien anschließend zu der Familie nach Deutschland fuhr, wollten sie eines Tages wandern gehen. Es war ein sehr heißer Tag und sie fragte ihre Schwester, ob Sie die Kappe ausziehen soll und die Schwester bejahte. Es kam ihnen ein fremder Mann entgegen. Dies war die erste fremde Person, die sie ohne Kappe sah. Die Schwester musterte Isabel, ob dies ihr etwas ausmache, aber für Isabel war dies in Ordnung.
Isabel kann auch nach all dieser Zeit Witze im Zusammenhang mit der Alopecia machen. Einst wollten sie in der KiTa Bilderrahmen lackieren und die Ausbilderin fragte, wer zu Hause noch Haarspray habe. Isabel gab in die Runde, dass sie da leider nicht behilflich sein könne und sie fand es noch amüsierend zu sehen, dass die anwesenden Personen nicht wussten, wie sie reagieren sollten. Selbst in ihrer Familie, wissen manchmal ihre eigenen Leute nicht, ob Sie lachen dürfen, wenn Sie mal wieder einen Spruch macht. Ich glaube, das Wichtigste ist immer, dass die oder der Betroffene einen friedlichen Umgang mit seiner Alopecia findet. Und Isabel hat diesen definitiv gefunden. In meinen Augen ist sie eine Inspiration für alle jungen Menschen – auch die, die keine Alopcia haben.
Zum Abschluss – Was würdest du künftigen Alopecia Betroffenen raten, Isabel?
Dass sie sich möglichst schnell selbst akzeptieren und lieben. Ich wurde durch die Familie, die ich in Deutschland kennengelernt habe, zu vielem ermutigt. Das würde ich jedem wünschen. Eine solche Begegnung, die einem hilft mit sich selbst und mit seiner Alopecia normal umzugehen.