Erfahrungsbericht – Celia
Hallo mein Name ist Celia, ich selber bin betroffen und Mutter eines betroffenen Jungen.
Unsere Geschichte fängt im Jahr 2012 an. Mein Vater erkrankte ganz plötzlich in Portugal, ich wechselte innerhalb des Betriebes die Abteilung und in Lucas Grundschule war bald «Tag der offenen Tür» für alle Kinder die 2013 eingeschult werden sollten. Ich flog also mit meiner Schwester nach Portugal um bei meinem Vater zu sein, dem es sehr schlecht ging und der auf der Intensivstation lag. Täglich fuhren wir von Portimao nach Faro ins Krankenhaus. Meine Schwester sagt mir fast täglich, dass ich extremen Haarausfall hätte und ich unbedingt zum Arzt solle! Meine Haare waren lang und auch mir selber fiel auf, dass sie immer dünner wurden. Auch mein Mann sprach mich vermehrt darauf an, da mein Kopfkissen sowie neben dem Bett immer alles voller Haare war. Ganz ehrlich? Ich machte mir gar keine Gedanken darüber. Hatte ich doch ganz andere Sorgen als Haare. Ich flog 10 Tage später wieder zurück nach Deutschland und liess meine Schwester bei meinem schwer erkrankten Vater zurück in Portugal. Ich musste mich um Luca kümmern, der am gleichen Tag noch Geburtstag hatte. Mein Vater verstarb kurze Zeit später hier in Deutschland und es war schrecklich.
Ich war ein Papa-Kind und umso mehr nahm mich dieser Verlust sehr mit. Genau einen Monat später versuchte ich mir morgens einen Zopf zu machen und es fiel mir auf, dass auf meinem Kopf, oben, Haare fehlten! Ich weckte hysterisch meinen Mann auf und schrie er solle schauen, was da oben nicht stimmte?! Mit weit aufgerissen Augen sagte Roger schließlich «ach du sch…. .., du hast da eine Untertassen große kahle Stelle» Ich war total schockiert und wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Ich suchte noch am selben Tag einen Hautarzt in der Dortmunder City auf. Die Ärztin war sehr nett und sagte ich hätte Alopecia Areata und ich würde noch viele Federn verlieren. Zudem wären meine Haarwurzel schock gefroren und ich müsste viel Geduld haben, sie würden schon wieder kommen?!! Ich bekam eine Kortison-Salbe und ein Haarwasser und fuhr mit dieser Diagnose, mit der ich überhaupt nichts anfangen konnte, nach Hause. Im November hatte ich dann alle Haare verloren!! Bei jedem einzelnen Haar verlor ich mich selbst. Ich war depressiv, traurig, aggressiv und bemitleidete mich selbst. Ich verließ die Wohnung nur zur Arbeit und isolierte mich immer mehr. Es gibt von dieser Zeit nur zwei Fotos von mir. Hilfe? Brauchte ich nicht. Es war doch einfacher sich dem Schmerz hin zu geben als aktiv daran zu arbeiten. Ich war in einem riesigem Loch und darin sollte ich auch noch lange bleiben.
2014 waren meine Haare wieder da! Zeitgleich machte mich meine Schwiegermutter darauf aufmerksam, dass Luca links zwei kleine kahle Stellen hätte. Ich hatte sie selber auch schon bemerkt, aber irgendwie nie einen Gedanken daran verschwendet, es könnte AA sein. Warum nicht? Kann ich rückblickend auch nicht sagen! Ich fragte ihn, ob er sich die Haare in der Schule geschnitten habe!? Luca verneinte es und ich wollte es nicht wahrhaben und bestand fast hysterisch darauf, dass es so war, wie ich es sagte. Luca hat sich die Haare in der Schule geschnitten! NEIN hatte er natürlich nicht!! Mein Mann fuhr mit ihm zum Hautarzt und wir bekamen die Diagnose AA. Der Vorhang viel und ich befand mich wieder in einem unsagbaren Loch der Trauer. Kann es denn wirklich sein, dass dieser arme Kerl alles schlechte von mir bekommen hat? Ich bin ein sehr lauter Mensch, Luca ist ein lautes Kind. Ich bin immer gradlinig – Luca auch. Ich muss jedem und allen meine Meinung sagen – Luca auch. Große Klappe immer an Bord. Zuweilen sehr anstrengend für Menschen, die nicht so aus der Art geschlagen sind. Ich habe Asthma – Luca hat oft Probleme mit Husten. Und jetzt? Hat er AA? Es war schrecklich und kaum fassbar für mich. Ich recherchierte im Internet und kam auf die Seite des AAD und las die Artikel und sah die Fotos von kahlen Erwachsenen und Kindern und hörte nicht mehr auf zu weinen. Ich war so verloren und schockiert, unsagbar traurig. Ich schrieb sofort eine Email an Claudia und meine erste Ansprechpartnerin war Susi. Endlich konnte ich mal mit jemandem reden, der das gleiche Gefühl hatte wie ich. Endlich sagte niemand «ach es sind doch nur Haare, Hauptsache ist doch, das Kind ist gesund» etc. Ich fühlte mich verstanden und alles war gut? Jedenfalls für diesen Tag. Ich meldete mich zum CT in Wiesbaden an.
Ich fuhr mit einer Bekannten die ich im AA Forum bei Facebook kennen gelernt hatte und freute mich schon sehr darauf. Als ich dort ankam war ich total überfordert. Überall diese Menschen – Erwachsene wie Kinder ohne Haare. Oh wie schrecklich! Wie konnten sie so fröhlich und unbeschwert sein? Keine Haare zuhaben ist doch schrecklich und man verliert doch die ganze Lebensfreude?! Ich war fix und fertig. Ich konnte mit niemandem reden, meine Mimik sprach Bände und im ganzen war ich sehr damit beschäftigt zu Trauern, zu Trauern, zu Trauern. Meine zweistündige Rückfahrt verbrachte ich damit bitterlich zu weinen und schrie und schluchzte in meinem Auto wie verrückt. Am nächsten Tag machte ich sofort einen Termin bei Dr. Lutz. Der Termin war dann einige Monate später. Lucas linke Seite war komplett bis hinters Ohr kahl und am ganzen Kopf machten sich kleine kahle Stellen breit. Luca sollte Zink und Eisentabletten einnehmen und Kortison auf die Kopfhaut bekommen. Alles gut, die Behandlung konnte beginnen. Ich war froh, dass ich was tun konnte.
Der Schwimmunterricht stellte mich erneut auf die Probe. Luca wollte nicht am Schwimmunterricht teilnehmen wegen seiner Stellen und weil Mütter und Väter zum Haare föhnen in die Schule kamen. Ich besorgte ein Attest und dachte, ich wäre aus der Nummer raus! Wir konnten also weiterhin mit unserem kleinem «Geheimnis» leben, ohne dass jemand was bemerkte. Lucas restliche Haare waren inzwischen so lang, dass man die kahlen Stellen gut verstecken konnte und es keinem auffiel. Nur einige wenige wussten Bescheid.
Ich wog mich in Sicherheit.
Nach einiger Zeit der Behandlung verkündigte Luca mir, er wolle die Behandlung nicht mehr. Ihm täten die Haare weh. Und er wolle auch an dem Schwimmunterricht teilnehmen. «Mama mir ist das egal, was die anderen sagen, ich möchte schwimmen.» Hä?, wie jetzt, was soll das denn jetzt? Ich glaubte das jetzt nicht, ich war wie vor dem Kopf gestoßen. Das konnte doch nicht sein. Meine Gedanken brachten merkwürdige Ideen zum Vorschein. Ach was, ich stelle mir den Wecker und schmiere ihm das Zeug nachts auf den Kopp, «Haha, ich bin einfach genial»! Genau so wird’s gemacht!
Wie bekloppt muss man sein, um auf so eine absurde Idee zu kommen? Ganz einfach, ich Celia, manchmal fern von gut und böse, schafft es solche Gedanken zu kreiren . Natürlich habe ich mir den Wecker nicht gestellt und natürlich habe ich ihm das Zeug nicht nachts auf den Kopf geschmiert. Aber ich war nah dran mich diesen Gedanken hinzugeben.
Kurze Zeit später sprach ich mit Claudia und Susi über die Vorgehensweise. Ich war nicht in der Lage den Brief an die Eltern zu verfassen, das übernahm Susi für mich. Auf diesem Weg möchte ich mich nochmal bei dir, liebe Susi, bedanken. Claudia schickte mir für jede Familie eine Info-Broschüre und los ging es. Unsere Schule war super. Wir haben vor ab mit den Kindern das Buch «Samus ganzer Stolz» gelesen und anschließend durften die Kinder auf kopierten Blättern Samu ausmalen. Alle Kinder hatten viele Fragen und ich konnte sie eigentlich gut beantworten auch Luca öffnete sich und erzählte, wie es ihm damit geht. «Mann, habe ich ein mutiges Kind» Ich konnte es nicht glauben wie stark Luca ist und wie schwach ich bin. Er öffnete gnadenlos meine Augen und ich nahm mir ab sofort vor die Celia zu sein, auf die ich mich immer verlassen konnte stark und kämpferisch. Diese Krankheit anzunehmen und sich nicht von ihr beherrschen zu lassen. Nicht in den Krieg ziehen sondern das Beste daraus zu machen. Klar AA ist und bleibt ein Arschloch, da brauchen wir uns nichts vor zu machen. Sie ist aber nun mal ein Teil von uns und begleitet uns in unserem Alltag, ob wir das möchten oder nicht. Sie ist immer gegenwärtig. Aber unsere Devise lautet seit dem, «lieber nichts auf dem Kopf als nichts im Kopf» Auch von unserer Susi gesagt!
Jedes einzelne Kind malte und schrieb für Luca auf kleinen Papierbögen Wünsche und Liebesbekundungen. Es war Herz allerliebst. Mir ging das Herz auf. Luca und ich kamen so gestärkt heraus wie ein Phönix aus der Asche. Mir selber hat es so sehr geholfen, gemeinsam mit den Kindern diese Krankheit zu verarbeiten und meine Stärke dadurch wieder zu finden. Eigentlich würde ich heute nicht da stehen, wo ich jetzt bin, wenn nicht Luca das Zepter in die Hand genommen hätte und wir dadurch einen ganz anderen Weg eingeschlagen haben.
Danke Luca, du bist wunderbar!
Im Oktober hatten wir ein Kontaktpersonen-Treffen in Hamburg. Es war einfach wunderbar. Wir hatten so viel Spaß und Freude, wir sind eine tolle Truppe. Die meisten haben mich gar nicht wieder erkannt. Was sagte Diana zu mir „diese Frau (Celia) war nicht in Wiesbaden“. Nein das war sie nicht!! ☺